Humboldt-Universität zu Berlin - Institut für Kulturwissenschaft

Promovierende

Niklas Weber, Moritz Neuffer, Christa Kamleithner, Felix Lüttge

Laufende Projekte

 

Niklas Weber: Zirkulation der Klassen. Eine Kulturgeschichte der Eisenbahnreise im 19. Jahrhundert

 

Meine Arbeit untersucht die Eisenbahnreise als Medium der Beobachtung, Deutung und (Re-)Produktion sozialer Ungleichheit hinsichtlich der Kategorien Klasse, Geschlecht und "Rasse". Den Eisenbahnraum des 19. Jahrhunderts kennzeichnet der eigentümliche Umstand, dass er die ganze Gesellschaft für eine gewisse Dauer an einem Ort zusammenbringt. Die egalitären und demokratischen Utopien, die sich in den 1830er Jahren mit der Eisenbahn verknüpfen, werden indes durch das Klassensystem konterkariert.


Die Wagenklassen werden von Anfang an als Entsprechungen sozialer Ordnung verstanden, die gesellschaftliche Hierarchien in symbolische und materielle Vor- und Nachteile übersetzen. In der Praxis ist diese Ordnung allerdings prekär, da man durch den Erwerb eines teureren oder billigeren Billets leichterhand die Klasse wechseln kann. Wenn der Eisenbahnraum also zur Beschreibung harter Klassengegensätze, himmelschreienden Elends und krasser Ungerechtigkeit taugt, bietet er zugleich die Möglichkeit, soziale Mobilität, die Durchlässigkeit sozialer Grenzen, erotische Phantasien und Vermassungsängste zu verhandeln.


Mit dem Umstieg der Eliten auf Auto und Flugzeug und der sukzessiven Reduzierung des Klassensystems büßt der semantische Zusammenhang von Wagenklassen und sozialen Klassen an Plausibilität ein. Aus den Eisenbahnpassagieren als Repräsentanten ihrer Klasse werden moderne "Durchschnittsmenschen" (Treitschke), klassenlose Passagiere auf der Fahrt in die nivellierte Mittelstandsgesellschaft.

 

Vita

Studium Geschichte und Deutsche Literatur in Berlin und Toulouse. Johann-Gustav-Droysen-Preis des Instituts für Geschichtswissenschaften der HU Berlin für die beste Masterarbeit 2018. Seit Oktober 2018 Promotion am Institut für Kulturwissenschaft der HU Berlin. 2019-2022 Promotionsstipendiat der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

 

Kontakt

niklasweber@gmx.com

 

Publikationen

Rückruf aus den Neunzigern. In: Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken 859 (Dezember 2020), S. 18-31.

Das Schweigen der Passagiere. Wolfgang Schivelbuschs „Geschichte der Eisenbahnreise“ neu gelesen. In: Geschichte der Gegenwart, 27. Oktober 2019, https://geschichtedergegenwart.ch/das-schweigen-der-passagiere-wolfgang- schivelbuschs-geschichte-der-eisenbahnreise-neu-gelesen/.

Héberts Tod. In: Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken 837 (Februar 2019), S. 42-53.

 

Zeitung (Auswahl):

Die Wiederkehr des Martin Grundweg. In: taz. die tageszeitung, 29.11.2021, https://taz.de/Neue-Rechte-und-die-Akte- Hasselhorn/!5814784/


Das Krokodil. In: Neues Deutschland, 07.05.2021, https://www.nd-aktuell.de/artikel/1151720.hedwig-richter-das- krokodil.html


Da ist sie wieder, die konservative Revolution. In: Süddeutsche Zeitung, 03.03.2020, https://www.sueddeutsche.de/kultur/benjamin-hasselhorn-hohenzollern-neue-rechte-1.4827695


Rez. zu Éric Vuillard: 14. Juli. In: taz. die tageszeitung, 29.06.2019., https://taz.de/!5603410/


Der Heroismus der Rechten. In: taz. die tageszeitung, 19.02.2019, https://taz.de/Kommentar-Rechte- Intellektuelle/!5573764/

 

Abgeschlossene Projekte

 

Moritz Neuffer: Die ›journalistische Form‹ der Theorie

 

Das Promotionsprojekt untersucht publizistische Formen kritischer Theoriebildung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Im Mittelpunkt stehen Periodika, die im Zuge des politischen Aufbruchs der Neuen Linken ab den späten 1950er Jahren entstanden: die westdeutsche alternative (1958–82), aber auch verwandte Publikationen wie die britische New Left Review (seit 1960) und die US-amerikanische Studies on the Left (1959–67).

Die Studie fragt nach den epistemologischen und politischen Besonderheiten der Gattung ›Theoriezeitschrift‹, in der wissenschaftliche, literarische und journalistische Formen in Beziehung treten. Als theoriegeschichtliche Quellen erlauben es Zeitschriften, die Adressierung, Aktualisierung und Archivierung von Theorie zu beobachten. ›Anfänge‹, ›Konjunkturen‹ oder ›Enden‹ von Theorie werden als Topoi erforscht, die häufig in engem Zusammenhang mit der Lebensdauer publizistischer Projekte stehen.

 

Vita

Studium der Geschichte und Germanistik an den Universitäten Hamburg, Paris VII und Humboldt-Universität zu Berlin. Seit 2014 Promotion am Institut für Kulturwissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin, 2014-2016 Wissenschaftlicher Mitarbeiter ebenda. Seit 2017 Stipendiat am Leibniz-Zentrum für Literatur- und Kulturforschung Berlin.

 

Publikationen (Auswahl)

»Rechte Hefte. Rightwing magazines in Germany after 1945 / Zeitschriften der alten und neuen Rechten nach 1945«, in: Worlds of Cultural Journals, Eurozine (https://www.eurozine.com/rechte-hefte/) , 4.11.2018 (gemeinsam mit Morten Paul).

»Geschichte und Eigensinn«, in: Titelpaare. Ein philosophisches und literarisches Wörterbuch, hg.v. von Hendrikje Schauer und Marcel Lepper, Stuttgart 2018.

»Elend«, in: Wörter aus der Fremde. Begriffsgeschichte als Übersetzungsgeschichte, hg.v. Falko Schmieder und Georg Toepfer, Berlin 2017, S. 81-85.

Marxismus-Fatalismus. Heinz Dieter Kittsteiners Geschichtsphilosophie, in: Zeitschrift für Ideengeschichte 11 (2017) 3, S. 21-32 (gemeinsam mit Christian Voller)

Drinnen und Draußen. Die Gruppe Poetik und Hermeneutik 1963-2013, Tagungsbericht in: Zeitschrift für Ideengeschichte 8 (2014) 3, S. 114-118.

Distanzgesten. Ein Gespräch über das Zeitschriftenmachen mit Ulrich Raulff und Wolfert von Rahden. In: Grundlagenforschung 1 (2014), S. 64-87 und online (http://1.grundlagenforschung.org/GF1_Rahden_Raulff.pdf ) (gemeinsam mit Morten Paul).

 

 

Christa Kamleithner: Stadtplanung als Wissenschaft. Eine Genealogie der „funktionalen Stadt“

 

Mit dem raschen Wachstum der Städte und den dabei auftretenden Problemen verdichtet sich Ende des 19. Jahrhunderts die städtebauliche Diskussion. Die Stadtplanung beginnt, sich als wissenschaftliche Disziplin zu konstituieren und ein Wissen auszubilden, das sich von einem älteren städtebaulichen Denken deutlich absetzt. Ziel der Arbeit ist es, die Koordinaten dieses neuen Wissens aufzuzeigen und seiner Vorgeschichte nachzugehen. Die These dabei ist, dass die moderne Stadtplanung wesentlich auf Stadtforschung beruht: Sie interessiert sich für demographische Verschiebungen und verfolgt die Mobilisierung der Bevölkerung wie des Bodens, die durch die veränderten – liberalisierten – ökonomischen und sozialen Bedingungen entstanden ist. Statistik, Kartographie und Ökonomie haben an ihren Entwürfen einen wichtigen Anteil: Sie stellen Verteilungsmuster heraus – Muster der Bevölkerungsdichte, der Verkehrsströme, der Differenzierung und Neuverteilung von Tätigkeiten und sozialen Gruppen –, aus denen um 1900 ein neues Bild von Stadt entsteht. Die Arbeit versucht, diesen Prozess der Wissensmodellierung nachzuzeichnen, in dem sich Empirie und deduktive Ordnung mischen und Beschreibung und Vorschrift ineinander greifen.

 

Vita

Studium der Architektur und Philosophie in Wien. 2004-05 Wissenschaftliche Projektmitarbeiterin am Institut für Kunst- und Kulturwissenschaften der TU Graz, 2006-12 Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Kunst- und Kulturgeschichte im Studiengang Architektur der Universität der Künste Berlin. 2007-2013 Lehrbeauftragte am Center for Metropolitan Studies der TU Berlin, Sommersemester 2011 Gastprofessur an der Akademie der Bildenden Künste Nürnberg im Masterstudiengang Architektur und Stadtforschung. Seit 2013 Promotion am Institut für Kulturwissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin.


Publikationen (Auswahl)

Theorie der Praxis, oder: Von Nutzern und Lesern, in: ARCH+ 221, 2015, 129-132

Theorie des sozialen Raumes, oder: Die Konstruktion von Situationen, in: ebd., 135-139

Mit dem Markt planen. Zu den epistemischen Voraussetzungen moderner Stadtplanung, in: Planlos! Zu den Grenzen von Planbarkeit, hg. v. Matthias Koch, Christian Köhler, Julius Othmer und Andreas Weich, München: Fink 2015, S. 35-49.

Medien / Architekturen, ZfM – Zeitschrift für Medienwissenschaft 12 (2015), Schwerpunktredaktion mit Roland Meyer und Julia Weber.

Was Architektur macht / What Architecture Does, in: ARCH+ 217 (2014), S. 156-169.

Architekturwissen. Grundlagentexte aus den Kulturwissenschaften, Bd. 1: Zur Ästhetik des sozialen Raumes, Bd. 2: Zur Logistik des sozialen Raumes, mit Susanne Hauser und Roland Meyer (Hg.), Bielefeld: transcript 2011/2013.

Neue Mischungsverhältnisse. Zum Gebrauch von Infrastrukturen, in: Infrastrukturen des Urbanen. Soundscapes, Landscapes, Netscapes, hg. v. Nathalie Bredella und Chris Dähne, Bielefeld: transcript 2013, S. 253-273.

Urban Icons. Architektur und globale Bildzirkulation, mit Roland Meyer, in: Informationen zur modernen Stadtgeschichte 2 (2011), S. 17-31.

Differenzierte Interessenslandschaften. Homo oeconomicus und die Anfänge der modernen Stadtplanung, in: Landschaftlichkeit. Forschungsansätze zwischen Kunst, Architektur und Theorie, hg. v. Irene Nierhaus, Josch Hoenes und Annette Urban, Berlin: Reimer 2010, S. 253-263.

„Regieren durch Community“: Neoliberale Formen der Stadtplanung, in: Governance der Quartiersentwicklung. Theoretische und praktische Zugänge zu neuen Steuerungsformen, hg. v. Matthias Drilling und Olaf Schnur, Wiesbaden: VS 2009, S. 29-47.

 

 

Felix Lüttge: Auf den Spuren des Wals. Geographien des Lebens 1768-1935

 

Naturforschung, wie sie im 18. und 19. Jahrhundert als ›Naturgeschichte‹ betrieben wurde, war vor allem das Projekt der umfassenden Klassifizierung von Tieren, Pflanzen und Gesteinen. Mit dem Wal fasst das Dissertationsprojekt die Wissenschaftsgeschichte eines Tieres ins Auge, das sich der eindeutigen Einordnung in das System der Natur lange widersetzte und um dessen taxonomischen Status heftige Debatten geführt wurden. Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts forderte der Wal das Experimentalisierungsparadigma der modernen Biologie heraus, während er sich für die Entstehung der Ozeanographie nicht zuletzt wegen seiner ökonomischen Bedeutung als produktiv erwies. Als eine Geschichte eines spezifischen Wissens vom Wal, das sich an der Schnittstelle von entstehender Ozeanographie, Biologie und wirtschaftlichen Interessen konstituierte, soll das Dissertationsvorhaben dem doppelten Interesse an Lebensraum und Lebensbedingung, das die Wissenschaft des 19. Jahrhunderts dem Wal entgegenbrachte, nachgehen. Dabei soll gezeigt werden, dass die Widerständigkeit des Forschungsgegenstandes ›Wal‹ einerseits nach neuen wissenschaftlichen Methoden und Visualisierungsformen verlangte, jedoch zugleich Forschungs- und Präsentationspraktiken älterer Wissensordnungen zu einer Renaissance verhalf.

 

Vita

Studium der Geschichte und Philosophie in Berlin (HU) und New York (NYU), seit 2014 Promotion am Institut für Kulturwissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin. Promotionsstipendium der Gerda Henkel Stiftung. Assoziiertes Mitglied im DFG-Graduiertenkolleg 1539 »Sichtbarkeit und Sichtbarmachung. Hybride Formen des Bildwissens«, Universität Potsdam. April–September 2014 Vertretung einer Stelle als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kulturwissenschaft, Humboldt-Universität zu Berlin.