Humboldt-Universität zu Berlin - Institut für Kulturwissenschaft

Vergangene Semester


Sommersemester 2025

Mehr-als-Menschliche Geschichte: Tierische, Pflanzliche und Geologische Perspektiven auf die Vergangenheit

Wie schreiben wir Geschichte jenseits der menschlichen Perspektive? Geschichtsschreibung basiert traditionell auf menschlichen Erfahrungen und Wahrnehmungen. Doch was passiert, wenn nicht-menschliche Akteure die historische Bühne betreten? Zum Beispiel ein Wald, eine Amöbe oder ein Kieselstein? Die historische Disziplin begegnet dieser Frage seit kurzem mit inspirierendem Engagement und beteiligt sich an einem transdisziplinären Perspektivwechsel – die Dekonstruktion mensch-zentrierter Wissenssysteme und die Anerkennung von vernetzten Existenzrealitäten diverser Spezies. Die Konsequenzen einer solchen Multiplikation von Perspektiven auf die Vergangenheit ist radikal und stellt Forscher:innen vor theoretische, methodische und ganz praktische Herausforderungen.

Ausgehend von jenen jungen Forschungsansätzen versteht das Seminar die Vergangenheit als ein geteiltes Projekt verschiedener Lebewesen und Umwelten. Studierende erhalten theoretische Einblicke in tierische, pflanzliche und geologische Vergangenheiten. Neben der Auseinandersetzung mit aktueller Forschungsliteratur, beinhaltet das Seminar zudem einen praktischen Teil, in dem Studierende die Potenziale und Grenzen einer mehr-als-menschlichen Geschichte selbst erforschen.

Literatur: Chakrabarty, Dipesh: The Climate of History in a Planetary Age, Chicago / London: The University of Chicago Press, 2021.
Baratay, Éric: Animal Biographies. Toward a History of Individuals, Athens: The University of Georgia Press, 2022 (2017).
Domanska, Ewa: Posthumanist History, in: Tamm, Marek/Burke, Peter (Hrsg.): Debating New Approaches to History, London/New York: Bloomsbury Publishing, S. 327-343.
Gan, Elaine/Tsing, Anna/Swanson, Heather/Bubandt/Nils: Haunted Landscapes of the Anthropocene, in: Tsing, Anna/Bubandt, Nils/Gan, Elaine/Swanson, Heather (Hrsg.): Arts of Living on a Damaged Plated: Ghosts and Monsters of the Anthropocene, University of Chicago Press, 2017, S. 1-14.
Hall, Matthew: Plants As Persons: A Philosophical Botany, New York: State University of New York Press, 2011.
Kean, Hilda: Challenges for Historians Writing Animal-Human History: What is Really Enough?, in: Anthrozoös, Vol. 25, Supplement (2012), S. 57-72.
Neumann, Roderick P.: Tracing the Historical Agency of Wild Animals in the Archives: Methodology and Multidisciplinarity in Posthumanist Political Ecology, in: Geoforum, No. 135 (2022), S. 71-81.
O'Gorman, Emily/Gaynor, Andrea: More-Than-Human Histories, in: Environmental History, Vol. 25, No. 4 (2020), S. 711-735.
Tamm, Marek/Simon, Zoltán Boldizsár: More-Than-Human-History. Philosophy of History at the Time of the Anthropocene, in: Kuukkanen, Jouni-Matti (Hrsg.): Philosophy of History: Twenty-First-Century Perspectives, London: Bloomsbury Academic, 2021, S. 198–215.

Prüfung: Hausarbeit, mündliche Prüfung am 22.07.25 und 13.10.25

SE | Mi 14-16 Uhr | wöch. Geo 47 | Raum EG 0.07

 

Wintersemester 2024/25

Von der Mine ins Museum: Ökokritische Perspektiven auf Zinn

Im Zentrum des Seminars steht das unscheinbare Schwermetall Zinn. Grundlage für die Auseinandersetzung mit dem Material bilden c. 145 Zinnobjekte aus der Sammlung Kunstgewerbe und Design des Museums Kunst & Gewerbe in Hamburg. Das Seminar lenkt den Fokus auf die unsichtbaren ökologischen Hintergründe der metallenen Museumsobjekte und fragt: Wo kommt das Zinn eigentlich her? Unter welchen Umständen wurde es abgebaut, weiterverarbeitet oder transportiert? Das Ziel dieses Seminars wird sein, die vermeintlich kontextbefreiten Museumsobjekte mit den ökologischen Realitäten der Materialbeschaffung - damals und heute - zu verbinden.
Das Seminar besteht aus zwei Teilen: Der Seminarteil dient der wissenschaftlichen und praktischen Annäherung an das Material Zinn. Das begleitende Kolloquium, welches im Verlauf des Semesters zunehmend Raum einnehmen wird, dient dem Austausch von Erfahrungen und Wissen im Hinblick auf die eigene Projektarbeit. Dafür entwickeln Teilnehmer:innen eine eigene Forschungsfrage und stellen Recherchen dazu an. Die Ergebnisse werden in Form eines Exponats aufbereitet und als Teil einer Ausstellung über Zinn im Museum Kunst & Gewerbe in Hamburg präsentiert.

Prüfung: Multimediale Präsentation

SE | Do 10-12 | wöch. | Geo 47, 0.10

BA Kuwi Modul 8: Exemplarische Studien

Agnes: 532850

 

AUSSTELLUNG

Zinn - Von der Mine ins Museum / Museum für Kunst & Gewerbe Hamburg

14.02. bis 10.08.2025 in Hamburg
Feierliche Eröffnung
am 13.02.2025 um 18 Uhr im Museum Kunst & Gewerber in Hamburg

 

Glasfabrik Joh. Loetz,
Vase mit Zinnfassung,
1898–1907, MK&G, Foto:
MK&G/Joachim Hiltmann;
Copyright: MKG Hamburg

Zinn boomt im Jugendstil. Fasziniert von der Formbarkeit und dem matten Glanz, experimentieren Künstler*innen und Designer*innen mit diesem Metall. Neue Printmedien, internationale Verkaufsaus- stellungen und zahlungskräftige Kundschaft befeuern die Nachfrage nach Geschirr im ‘neuen Stil’. Die Erschließung neuer Erzlagerstätten schafft günstige Voraussetzungen für das Aufleben des Zinngusses in Europa. Davon profitieren Firmen wie J. P. Kayser Sohn, die Orivit AG und die Württembergische Metallwarenfabrik (WMF), sie produzieren nach Entwürfen namhafter Designer wie Peter Behrens, Albin Müller und Joseph Maria Olbrich.

Die Ausstellung illustriert anhand von Exponaten aus der Sammlung Herkunft und Verarbeitung von Zinn im Jugendstil. Drei Kapitel erzählen von Zinnvorkommen und deren Abbau um 1900, dokumentieren Produktionsumstände in den Fabriken und präsentieren Gestaltungsvariationen des Metalls. Das Material und seine Herkunft stehen hier im Zentrum der Objektbeschriftungen. Fiktive Materialbiografien machen darüber hinaus die Entstehungsgeschichte der Objekte zugänglich – von der Mine ins Museum.

Die Inhalte der Ausstellung sind in Zusammenarbeit mit den Studierenden des Projektseminars „Von der Mine ins Museum: Ökokritische Perspektiven auf Zinn im Wintersemester 2024/25 am Instituts für Kulturwissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin entstanden.

Kuratorinnen: Viktoria Lea Heinrich, Kaja Ninnis

 

Sommersemester 2024

Der Zerfall von Material im Museum & Praktiken des Erhalts

Die Bewahrung des kulturellen Erbes für kommende Generationen ist eine zentrale Aufgabe von Museen. Museumsobjekte sind in komplexe Erhaltungsprozesse eingebunden, die von Restaurator*innen initiiert, überwacht und kontrolliert werden. Diese Prozesse werden maßgeblich von der Aktivität des musealen Materials bestimmt, was unter Restaurator*innen als die ‚inhärente Schwäche‘ (‚the inherent vice‘) bekannt ist: Metall rostet, Firnis wird rissig, Kunststoff vergilbt. Jedes Objekt hat daher ein Verfallsdatum: Obwohl Museen oft als zeitlose und sterile Orte wahrgenommen werden, ist museales Material kontinuierlichen Veränderungen und unweigerlichem Zerfall ausgesetzt.

Inspiriert von Fernando Domínguez Rubios Verständnis von Museumssammlungen „als Sammlungen von Prozessen anstatt als Sammlungen von ‚Objekten’“ (Rubio 2014, S. 621), fokussiert sich das Seminar auf die Aktivität von Material und befasst sich mit den Prozessen des Zerfalls sowie den Infrastrukturen des Erhalts im Museum. Die Restaurierung bzw. Konservierung als Disziplin, Theorie und Praxis stehen dabei im Mittelpunkt.

Anhand einschlägiger Literatur aus den Bereichen der Restaurierungswissenschaft und der kritischen Kulturerbeforschung sowie unter Einbeziehung nicht-westlicher Perspektiven, werden grundlegende Annahmen über die Notwendigkeit von Erhalt und Vermeidung von Zerfall im Museum untersucht. Zu den zentralen Fragen des Seminars zählen u.a.: Welche Infrastrukturen und Ressourcen sind für den Erhalt von Museumsobjekten notwendig?Was passiert, wenn Museumsobjekte zerfallen? Wie blicken nicht-westliche Kulturgruppen auf westliche Konservierungspraktiken, insbesondere im Hinblick auf die Dekolonisierung von Museen? Wieso ist Zerfall im Museum meist unsichtbar?

Das Seminar beinhaltet zwei Besuche in Restaurierungswerkstätten in Berliner Museen, welche Einblicke in die restauratorische Praxis ermöglichen.

Seminar | Di 16-18 Uhr | wöch. | Sophienstr. 22-22a, 0.03

Agnes: 532825

 

Wintersemester 2023/24

Reconstructing Material Biographies

Das Seminar beschäftigt sich mit Materialbiografien von Museumsobjekten und den ökologischen Bedingungen, die Abbau, Transport, Verarbeitung und Nutzung des Materials einbeschrieben sind.

Die (kunst)historische Objektforschung hat bisher die Perspektive der/s Gestalter*in und damit formale und ästhetische Eigenschaften des jeweiligen Objekts priorisiert. Ökologische, ökonomische und soziale Hintergründe des Materials, welche die Entstehung des Objekts erst möglich gemacht haben, blieben bisher weitgehend unbeachtet oder in den Worten von Robin Kelsey: “We admire the art and forget the fuel.” (Kelsey 2014, S. 13). Das Seminar baut auf jüngere ökokritische Forschungsansätze aus der Kunst- und Kulturwissenschaft auf, welche die Biographien von Objekten um den Kontext des Materials erweitern.

Im Rahmen des Seminars rekonstruieren Teilnehmende Materialbiografien zu Objekten aus einer Berliner Museumssammlung. Ziel wird sein, die materielle Biografie eines Objekts so weit wie möglich nachzuzeichnen – vom Museumsdepot bis zum Abbauort des Rohmaterials. Diese Untersuchung umfasst Fragen wie: Wo wurde das Material abgebaut, von wem und unter welchen Umständen? Wie gelangte das Material in die Hände der/s Kunsthandwerker*in, Künstler*in oder Werkstattmitarbeiter*in, und welche Schritte hat es auf seiner Reise durchlaufen? Auf welche Weise wurde das Material weiterverarbeitet? War die/der Gestalter*in sich der ökologischen und sozialen Auswirkungen der von ihm oder ihr verwendeten Materialien bewusst? Welche Veränderungen durchlief das Material als Bestandteil eines Museumsobjekts?

Methodisch orientiert sich das Seminar an Laura Turner Igoes Artikel Creative Matter: Tracing the Environmental Context of Materials in American Art (2018), in dem die Autorin anhand von Objektstudien "the complex ecological and social history of creative matter, including issues of toxicity, sustainability, and environmental justice" (Turner Igoe 2018, S. 142) darstellt. Darüber hinaus ist das Seminar ein Experiment in der methodischen Erforschung ökokritischer Materialfragen: Wo sind Quellen zu finden? Auf welche Fachbereiche muss ggf. ausgewichen werden? Welche Expertisen müssen zusammenkommen, um eine umfassende Materialbiographie erstellen zu können.

Literatur:
Kelsey, Robin: Ecology, Sustainability, and Historical Interpretation, American Art 28, No. 3 (Fall 2014), S. 8-13.

Turner Igoe, Laura: Creative Matter: Tracing the Environmental Context of Materials in American Art, in: Braddock, Alan C./Kusserow, Karl (eds.): Nature's Nation. American Art and Environment, New Haven/London 2018, S. 140-169.

Seminar | Mi 16-18 Uhr | wöch. | GEO 47, 0.10

Agnes: 532832

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Arts and Crafts: Kritische Perspektiven auf die Designreformbewegung

Arts and Crafts war eine Designreformbewegung, die im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts als Gegenreaktion auf die negativen Auswirkungen der Industrialisierung in Großbritannien entstand. Die Rückorientierung zu handwerklichen Praktiken sowie die Etablierung kooperativ organisierter Arbeitsgemeinschaften waren zentrale Ansätze, um den als menschen- und umweltfeindlich empfundenen industriellen Produktionsprozess zu reformieren.
Die Geschichte der Arts and Crafts Bewegung wurde bisher meist anhand der Biografien weniger männlicher Protagonisten erzählt. Dieses Seminar widmet sich den Lücken und Widersprüchen in der Geschichtsschreibung der Reformbewegung, aber auch neuen Forschungsansätzen, welche die Arts and Crafts Bewegung mit heutigen Fragestellungen verbinden. Im Rahmen des Seminars lernen Studierende die Grundzüge der Arts and Crafts Bewegung kennen, welche daraufhin aus feministischer, transnationaler und ökologischer Perspektive hinterfragt werden.
Das Seminar findet Ende des Wintersemesters in zwei Blöcken statt, die jeweils den gesamten Freitag und Samstag umfassen.

Teilnahmeleistung (3 LP):
- Regelmäßige Teilnahme an den Seminarsitzungen inkl. Vorbereitung der meist englischsprachigen Lektüre
- Bereitschaft, im Verlauf des Seminars ein Referat oder Protokoll zu übernehmen

Prüfung: 
- Hausarbeit (12-15 Seiten)
- Mündliche Prüfung

Blockseminare | Fr-Sa | GEO47, 0.09 | Einführung am 27.10.23
weitere Termine: 26.01./27.01.24; 02.02./03.02.24.

Agnes: 532846