Humboldt-Universität zu Berlin - Institut für Kulturwissenschaft

Seminare

Vorlesung: Äquivalenz | Asymmetrie.

Zur Kulturwissenschaft ökonomischer Praktiken

 

Die Vorlesung gibt Einblicke in eines der derzeit dynamischsten Forschungsfelder der Kulturwissenschaft, die ökonomischen Praktiken oder economics as culture. Der Akzent der Vorlesung liegt dabei auf der Perspektive der Mittellosigkeit: informelle Ökonomien, Schwarzmärkte, der weiblich codierte Bereich der Care-Arbeit und die Situationen des Mangels im Globalen Süden.

Welche ökonomischen Institutionen sind zu beobachten, wo Menschen von weniger als einem Dollar pro Tag leben? Wie verhalten sich die Theorien des Überflusses zu den Ideologien der Knappheit? Worum geht es in der Debatte um die »multiplicities of money«? Welche Sonderwege der Bezahlung entwickeln sich aktuell in den Lagern des UNHCR (Remittances, Hawala-System, digitale Rationierungskarten)? Welches Licht wirft die Kolonie Deutsch-Neuguinea mit ihren schriftlosen und nicht-monetären Gesellschaften auf die vermeintlich so selbstverständlichen Prozesse der Äquivalenzbildung und des Geldes?

Einige klassische Positionen der Kulturwissenschaft sind zugleich Bestandteil der Geschichte ökonomischer Theoriebildung (Thomas Malthus, Max Weber, Karl Polanyi). Andere entwickeln sich aus der kritischen Bezugnahme auf wirtschaftliche Verhältnisse (Georges Bataille, Edward P. Thompson, Pierre Bourdieu) oder aus der Wirtschaftsethnologie heraus (Marcel Mauss, Jane Guyer). Zu nennen sind zudem jüngere Positionen: beispielsweise feministische Beiträge (Silvia Federici, Christina von Braun), die diskursanalytisch geschulte Kulturwissenschaft (Michel Foucault, Joseph Vogl, Maurizio Lazzarato), die historische Epistemologie der Ökonomie (Monika Dommann, Philipp Lepenies, Daniel Speich Chassé), sowie die Finanzsoziologie (Elena Esposito, Ute Tellmann, Urs Stäheli).

Da die Behandlung ökonomischer Themen in Seminararbeiten dennoch zunächst wie eine Herausforderung wirken kann, ist die eingehende Besprechung von Beispielstudien vorgesehen. Dies bietet einerseits Gelegenheit, kulturwissenschaftliche Analysen im Detail nachzuvollziehen, andererseits führt dies vor Augen, welche methodischen und systematischen Leistungen durchaus schon vorliegen. Zu jeder Vorlesung wird eine Textpassage eines Klassikers ausgewiesen, auf die sich die Klausurfragen beziehen, die generelles Grundlagenwissen der Kulturwissenschaft in Form einer »Take-home-Klausur« abfragen.

Refugee Economy |  Poor Economics | Scarcity | Architekturen des Tausches | Marktbegriffe | Humanitäre Ökonomie | Feministische Ökonomie | Landvermessung / Landreform / Kataster | Koloniale Ökonomie | Rechnungseinheiten des Geldes | Accounting | Figuren der Äquivalenz | Schuld und Asymmetrie | Vernichtung von Wert | Finanzen und Fiktion

dienstags, 14–16 Uhr

Hauptgebäude HU, Unter den Linden 6, Raum 2091/92

Vorlesung Modul 4: Wissen – Strukturen – Medien (Vertiefung B.A. offen für M.A.)

 

Reformsiedlungen, Freihäfen, Steueroasen.

Zur Archäologie der ökonomischen Ausnahmezone

 

Internationale Geldflüsse scheinen zunehmend in rechtlichen Sonderzonen zu münden. Die Migranten hingegen verbleiben immer länger außerhalb eines vollgültigen Rechtsstatus der Bedingung ökonomischer Selbständigkeit ist. Beide Phänomene weisen die gleiche Struktur auf: Erkennbar werden Aussetzer, Risse oder Lücken in der vermeintlich so homogenen Struktur des rechtlich einheitlich verfassten Nationalstaats. Die reibungsfreie Zirkulation der Güter, Werte und Personen in der globalisierten Moderne erweist sich als unterminiert (Saskia Sassen).

Diese Gegenwartsdiagnose ist Anlass für eine historische Nahaufnahme unterschiedlicher ökonomischer Zonen. Jede Sitzung ist einer solchen gewidmet, wobei möglichst materialnah an historischen Berichten, Reisebeschreibungen und Dokumenten gearbeitet wird. Recherche und Umgang mit neuen Quellentypen stehen Zentrum des Seminars.

Paradoxerweise ist die Migration Anlass für die hoffnungsreichsten wie die katastrophalsten Siedlungen: Utopische Projekte wie Robert Owens »New Harmony« treffen hart auf die Geschichte der Slums und Lager. Die kalifornischen Kommunen liegen neben den Reservaten der First Nations. Was zeichnet den Hamburger Freihafen aus, der oftmals als Blaupause für heutige Steueroasen beschrieben wird? Wie werden Grenzen markiert und Regeln eingeführt?

Eine besondere Quelle für regionale ökonomische Verhältnisse sind die Sondergelder (LETS), etwa die Lokalwährungen der Anarchisten aus dem spanischen Bürgerkrieg, die Lagergelder des Faschismus, oder die Guerillawährungen wie diejenige der Machno-Bewegung in der heutigen Ukraine. Gemeinsam wird so ein Atlas der Sonderzonen erarbeitet.

mittwochs, 14:00 bis 16:00 Uhr
Raum 0.03, Sophienstraße 22-22a (SO 22)
B.A.: KUWI 7: Vertiefung Episteme - Strukturen - Medien


 
 

Ikonoklasmus: Von der Zerstörung der Kunst zur Kunst der Zerstörung 

 

Werkzeuge, Fackeln und Hände stuft Latour als ikonoklastische Objekte par excellence ein. Die Umfunktionierung des Winterpalais in Leningrad, die Zerstörung der Bamiyanischen Buddha Statuen Afghanistans durch die Taliban, das Einreißen einer Statue der Mandarom Sekte in Castellane, Frankreich – alle diese Ereignisse stellen jeweils Angriffe auf etwas dar, was hinter oder neben dem konkreten Bild oder Objekt liegt. Mit Latour ist demnach zu fragen: „Why have the iconoclast’s hammers always seemed to strike sideways?“

Erst in der Aktion bringen die betroffenen Objekte das Gemachte der gültigen Systeme hervor, sei es in religiös-rituellen, wissenschaftlichen oder künstlerischen Zusammenhängen. Die zentrale Geste des Bildersturms muss jedoch differenziert werden, beispielsweise existieren Strategien, die mit der Kopie arbeiten oder die eine Rekontextualisierungen in neuen Räumlichkeiten vornehmen.  Abgrenzungen von Vandalismus oder Sabotage sind vorzunehmen. Mit "Iconoclash" bezeichnet Latour im Gegensatz zu „Iconoclasm“ den unentschiedenen Fall, in dem nicht sofort kenntlich ist, welche Ursachen und Zwecke die Bildzerstörung motivieren. So etwa bei dem gefilmten Angriff auf die Panzerglasscheibe vor dem Schrein von Turin, der sich bei genauerer Kontextualisierung nicht als Raub oder Zerstörung sondern vielmehr als erfolgreiche Rettungsaktion der Feuerwehr vereindeutigen lässt.

Die lange Tradition der grundsätzlichen Bilderfeindlichkeit als einer Repräsentationskritik ist von dem gezielten Anschlag auf einen Stellvertreter einer geltenden Dominanzkultur zu unterscheiden. Deshalb wird zudem das Feld des Maschinensturms (Luddismus) im Vergleich herangezogen, sowie die öffentliche Verbrennung von Flaggen (Vexillologie) oder die performative Zerstörung von Musikinstrumenten. Der Angriff auf manifestierte Systeme wird sodann von der Seite der ökonomischen Theorie her betrachtet, die die Kategorie der "kreativen Zerstörung" herausgebildet hat (Sombart, Schumpeter) die ihrerseits noch erkennbar in Naomi Kleins Kritik an der "Shock Doctrine" nachwirkt.

 

Zeit: dienstags, 12:00 bis 14:00 Uhr, SoSe 2014
Ort: Georgenstraße 47 (GEO 47), Raum 0.07
Nr.: 53289 | M.A. Kulturwissenschaft | Modul: Materielle Kultur

 

Neutralität –
Beobachtungen am affektiven Nullmeridian

 

Mit dem für ihn charakteristischen Takt warf Roland Barthes einmal die Frage auf, wie viel oder wie wenig jemand zu einer abendlichen Essensrunde beizutragen habe, wenn er weder interessiert noch desinteressiert wirken wolle. Neutralität im Umgang ist demnach eine Balancefigur, die zwischen Affirmation und Abweisung ein Drittes anstrebt. Im Gegensatz zur Neutralität der Schweiz oder der Royal Society will Barthes nicht auf die politische Haltung von Staaten oder das Verhältnis der Wissenschaft zur jeweiligen Regierung hinaus. Es geht ihm vielmehr um spezifische Mischzustände, die gewohnten Dichotomien zuwiderlaufen und damit um soziale Situationen, denen aus poststrukturalistischer Sicht ein besonderes Potential zukommt.

Das Seminar gibt Gelegenheit, sich mit solchen positiven aber auch mit kritischen Positionen zur Neutralität auseinanderzusetzen: Neben den Überlegungen von Barthes und Blanchot zum neutralen Terrain wird es zweitens um die problematische Neutralität des Geldes gehen, wie sie Georg Simmel eingehend analysiert hat, und drittens um Infrastrukturen. Es soll gefragt werden, wie es diesen nicht-affektiven, quantitativen und technischen Formaten gelingt, als apolitisch und wirkungslos in den Hintergrund zu treten und dennoch, wie am offensichtlichsten vielleicht im kolonialen Eisenbahnbau, soziale Relationen massiv umzugestalten. Einige Sitzungen werden gemeinsam mit Sebastian Schwesinger angeboten. Das moodle-Kennwort kann über echterha@culture.hu-berlin.de angefordert werden. Eine auditive MAP ist möglich.

mittwochs | 14:oo bis 16:oo Uhr | WiSe 2013/14 | Seminarraum: Sophienstraße 22 | 0.03
Nr. 53322, M.A., Modul 4: Episteme – Strukturen – Medien


 

'Ökonomische Wilde' Von der Kulturgeschichte zur Wirtschaftsethnologie

Zeit: montags 12:oo – 14:oo Uhr, SoSe 2014 | Ort: Sophienstraße 22a, Raum 0.03

B.A. | Nr.: 53307 | Episteme - Strukturen - Medien

 

In der Nachbarschaft der Irokesen lebend, entwarf Lewis Henry Morgan 1877 ein Bild ihrer ökonomischen und sozialen Verhaltensweisen, das lange nachwirken sollte. Der Mythos des Matriarchats sowie die paritätische Urgesellschaft bei Engels wurde durch Morgans „ökonomische Wilde“ maßgeblich mit angestoßen. Für den damals höchst einflussreichen Kultur- und Wirtschaftshistoriker Karl Wilhelm Bücher hingegen ist gerade die Frühphase der Gesellschaft durch ökonomische Egozentrik charakterisiert.
Die klassische Wirtschaftsethnologie setzt mit Bronislaw Malinowski ein, der bei Bücher noch studiert hatte. Mit der Methode der Feldstudien erschienen alterierende und komplexe Tauschformen wie der Kula und der Potlatsch, die bis zu Marshall Sahlins in immer differnziertere Typologien des Gebens aber vor allem auch Nehmens entwickelt wurden. Kürzlich ist mit den Diskussionen um Margaret Strathern und Martin Holbraad oder David Graeber schließlich eine neue kulturkritische Aktualität der Wirtschaftsethnologie zu verzeichnen.
Das Seminar bietet die Möglichkeit sich zunächst der Kategorie des „Wilden“ in ihrer historischen Konstruktion anzunähern (Taussig). Zudem gilt es mit Johannes Fabian zu fragen, wie die Ethnologie ihr Objekt zeitlich konstruiert.



 

Hand / Werk
Formate und Praktiken des wissenschaftlichen Schreibens

 

Viele Studienratgeber bieten strenge Regularien zu Fußnoten und der Gestaltung von Titelblättern nebst warmen aber schnell veralteten Tipps zur Recherche wissenschaftlicher Fachliteratur – alles was darüber hinausgeht bleibt dem Talent, wenn nicht dem Genie überlassen. Was aber liegt zwischen den Formalien und dem Ergebnis? Was genau passiert auf dem Schreibtisch eines Kulturwissenschaftlers oder einer Kulturwissenschaftlerin? Worin besteht das „Handwerk“ des Schreibens und wie findet man zu einem guten wissenschaftlichen Stil?

Wir werden einzelne Formate unter die Lupe nehmen, sie historisieren und in fünf kleineren oder größeren Schreibaufgaben praktisch erproben. Auf dem Programm steht: Die Arbeit mit Konzepten und Handbüchern, Valentin Groebners „Gebrauchsanweisung“ für die Wissenschaftssprache, das Formulieren von Fragestellungen und Thesen (Bernhard Waldenfels, Walter Benjamin), die allgegenwärtige Notiz (Christoph Hoffmann, Hans-Jörg Rheinberger, Markus Krajewski) sowie Datenbanken und Listen (David Gugerli, Jack Goody). Ein gemeinsamer digitaler Zettelkasten dokumentiert die Ergebnisse der Sitzungen. Zudem werden sich Fehler als für das Seminar entscheidend erweisen: in Form der gemeinsamen Identifizierung, Sammlung und Umformulierung misslungener Passagen.

Nr. 53321, B.A., Studienpraxis | dienstags | 10:00 bis 12:00 Uhr | WiSe 2013/14 | Seminarraum: Georgenstraße 47 | 0.10

 

 

 


 

Dokument und Zeugnis
Archivieren, Aufzeichnen, Nachweisen in den 1970er Jahren

 

 

Archive zu Hubschraubern werden angelegt, Theaterabende handeln vom Bruttosozialprodukt der Schweiz, digitale Publikationsformate finden Käufer und der Name documenta ist zunehmend Ausstellungsprogramm: Dokumentarische Formen dominieren die Ausstellungshallen, Bühnen, Leinwände und Bildschirme der Gegenwart. Dies gibt Anlass zu einer Spurensicherung in  den 1970er Jahren. Zu diesem Zeitpunkt wird der Dokumentarismus als ästhetisches Programm eingeführt und beginnt, die Grenze der historischen Disziplinen in Richtung Ästhetik, Reportage und Feature zu überschreiten. Zugleich erweitert die Geschichtsschreibung ihren Radius kritisch, denn Ereignisse jenseits der offiziellen Archive werden gesucht oder gar erzeugt: Alltagserfahrungen, Stilphänomene und Stimmungen. Betont werden jedoch auch Grundzüge des historischen Verfahrens: die Evidenz einer ‚aus sich sprechenden‘ Quelle, der Zeugnischarakter direkt eingespielter Dokumente oder die Anordnung fragmentarischer Fakten auf dem Zeitpfeil. Ziel des Projektseminars ist eine eigenständige Recherche sowie die Präsentation eines solchen Dokumentarismus-Phänomens aus den 1970er Jahren.

Die Teilnahme an dem forschungsintensiven Vorhaben ist auf 24 Plätze begrenzt. Um die Einsendung einer knappen Skizze Ihrer Teilnahmemotivation bis zur Anmeldefrist wird gebeten (150 Worte also 3 Sätze, 4. April 2013, an: echterha@culture.hu-berlin.de).

SoSe 2013, Nr. 51416, M.A. Forschungsseminar, 2 SWS
Gemeinsam mit Prof. Dr. Anke te Heesen vom Institut für Geschichtswissenschaften, deshalb findet das Seminar auch dort statt: Friedrichstraße 191 / Seminarraum 4026
dienstags, 14:00-16:00 Uhr zunächst wöchentlich, dann projektabhängig

 


 

Neue Abstraktionen

Gaston Bachelards engagierter Rationalismus und die Anfänge der historischen Epistemologie

Das Seminar ermöglicht eine eingehende Auseinandersetzung mit der von Bachelard mitbegründeten Form der Wissenschaftsgeschichtsschreibung ausgehend von einem ihrer Hauptwerke. Die methodischen Impulse der historischen Epistemologie, wie sie sich im Paris der 1930 und 1940er Jahre formierte, haben sich seit den 1990er Jahren hierzulande zu einem prägenden Einfluss vieler geisteswissenschaftlicher Subdisziplinen entwickelt.

In seiner Analyse der Entstehungsbedingungen wissenschaftlichen Wissens widmet Gaston Bachelard den Störungen, Grenzphänomenen und Erkenntnishindernissen große Aufmerksamkeit. Unter dem Eindruck der soeben formulierten Quanten- und Relativitätstheorie fordert er zu Beginn des 20. Jahrhunderts energisch einen Bruch mit den Regimen der Sichtbarkeit. In seinem Hauptwerk „Die Bildung des wissenschaftlichen Geistes“ (1938) hadert er mit dem vorwissenschaftlichen Verstand, der der Abstraktion nicht fähig sei, und identifiziert substantialistische oder animistische Vorstellungen als Hindernisse der wissenschaftlichen Entwicklung. Seine Apologie der Abstraktion steht im Zeichen der Neuerung, der Konstruktion und der Dynamik. Was aber verdankt diese Position dem Konzept des „Surrationalisme“, das zuerst im Kontext der Kunstavantgarden auftrat? Ist Jean Hyppolite zu trauen, der seinem Kollegen und Lehrer einen „romantisme de l’intelligence“ bescheinigte? Weshalb bezeichnet Foucault Bachelard als „Wissenschaftshistoriker der Schwelle“?

Diese Fragen bilden das Zentrum der Seminardiskussion. Ein kleiner Teil jeder Sitzung wird zudem dazu verwendet, sich Überblickswissen zu heutigen Konzepten dieser Sparte der Wissenschafts- und Wissensgeschichte zu erwerben, etwa dem epistemischen Wert (Galison, Daston), dem Experimentalsystem (Rheinberger), dem Fehler (Schickore, Hoffmann), den images of knowledge (Yehuda Elkana) oder den styles of reasoning (Ian Hacking, Arnold I. Davidson). 

SoSe 2013, Nr. 53309, B.A., Modul 4, Episteme -- Struktur -- Medien
Dienstags 10:00 bis 12:00 Uhr
Pergamonpalais (Georgenstraße 47) / Seminarraum 0.10


 

Innovationen des Tauschens. Geldentstehungstheorien im Vergleich

 

Ein Schneider stellt einen Anzug her. Er möchte sich und seine Kinder unterdessen ernähren: Bäcker und Schneider benötigen ein Medium des Tausches zur Überbrückung der unterschiedlichen Produktionszeiten. Dies ist die Ausgangssituation der klassischen ökonomischen Theorie, die Geld als Produkt des Marktes und seiner Unternehmer ausweist. Erst kürzlich hat der Wirtschaftsethnologe David Graeber vehement die Gegenthese verfochten: Geld entsteht seiner Meinung nach aus Schuldverhältnissen. Damit sind es nicht die Märkte, sondern juristische und staatliche Instanzen, die den Ausschlag geben. Eine weitere Tradition betont den sakralen Ursprung des Geldes im Ritus und leitet es von Opferspießen ab, die in Griechenland für geleistete politische Arbeit vergeben wurden. Auch Kriegsverhältnisse kommen als Ursache in Betracht.

Die Komparatistik der Geldentstehungstheorien eröffnet folgende Perspektiven: Wie wird die Fähigkeit von Kollektiven gewichtet, sich auf bestimmte Zeichen einigen zu können, die dann materiellen Wert erhalten? Wie entwerfen die Theorien jeweils Märkte vor dem Geld und mit welchen Konnotationen werden die abgelösten und überkommenen Formen des Tausches jeweils belegt? Welche möglichen Funktionen des Geldes werden jeweils herausgestrichen – etwa als Medium des Tausches, als Wertmesser, Buchhaltungseinheit oder als Archiv und Konservierungsform von Kaufkraft?

WiSe 2012/13 / 53327 / Seminar / Master / Modul: Techniken Praktiken   
Donnerstags 12:00 bis 14:00
Pergamonpalais (Georgenstraße 47) / Seminarraum 0.07

 

 

 

 

 



 

 

 

Knappheit. Modelle und Muster des ökonomischen Mangels

 

Wenn Adam Smith 1776 im „Wohlstand der Nationen“ über zwei jagende Windhunde schreibt, dass niemand jemals den „gütlichen und wohlbedachten Austausch“ eines Knochens bei diesen Tieren beobachtet habe, so bedient er sich eines evokativen sprachlichen Bildes, dessen epistemische Lage zwischen literarisiertem Beispiel und ökonomischem Modell zunächst kategorial zu bestimmen wäre. Er produziert ein Wissen, das sich unverkennbar durch ideologische, fiktive und ästhetische Überschüsse auszeichnet. In der klassischen ökonomischen Theorie, in der funktionalistischen Wirtschaftsanthropologie aber auch bei Autoren wie Joseph Townsend und literarischen Figuren wie Robinson Crusoe lassen sich mehrfach Schlüsselszenen aufzeigen, die die existenzielle Konkurrenz um knappe Güter formulieren. Neben der Verständigung über Kategorien wie Modell, Beispiel, Erzählung und Poetologie des Wissens geht es in diesem Seminar um Formen und Strategien der Darstellung von Knappheit in verschiedenen Textgenres.

Donnerstags | 10:00 bis 12:00 Uhr | SoSe 2012

Seminarraum: Georgenstraße 47 | Seminarraum 0.09

Nr. 53289 | BA: Episteme - Strukturen – Medien

 


 


Genealogie:
Hilfswissenschaft, historische Methode, Kritik

 

 

Die Genealogie fristete über lange Jahre die Randexistenz einer historischen Hilfswissenschaft. Sie verwaltete als Lehre von der Abstammung Fakten über aristokratische Häuser und bestand in der bloßen Kenntnis der dynastischen Politik der Blutsbande. Die biologische Vererbungslehre konnte an diesem Status wenig ändern. Erst 1887 eröffnete Friedrich Nietzsches „Genealogie der Moral“ eine neue Ebene der Diskussion. Genealogische Analyse begann für die radikale Historisierung moralischer Mechanismen zu stehen. Werte wurden von ihrer Herkunft her und in ihrer Gemachtheit betrachtet. Michel Foucault und später Martin Saar haben diese Perspektive zum Zentrum einer kritischen Geschichtswissenschaft erklärt und den Fokus auf die Taktiken und Praktiken bei der Umwertung kultureller Werte gelegt. Das Seminar wird anhand genauer Textlektüren den Stammbaum der Genealogie nachzeichnen, um die Potenziale und Probleme des umstrittenen Konzepts auszuloten zu können.

 

mittwochs | 10:00 bis 12:00 Uhr | SoSe 2012
Seminarraum: Georgenstraße 47 | Seminarraum 0.09
Nr. 53290  | Magister / Master Kulturwissenschaft | Modul: Techniken – Praktiken

 


 

Writing Culture -- Die Seminararbeit als wissenschaftliche Textform

Das Blatt leuchtet weiß vom Schreibtisch oder Bildschirm. Die Herausforderung besteht keinesfalls nur in der Frage, was jetzt zu schreiben wäre, sondern vor allem auch, wie und in welcher Form die Sachverhalte auf das Papier gelangen sollten. Das Seminar dient der gemeinsamen Verständigung darüber, was die Textform einer kulturwissenschaftlichen Seminararbeit auszeichnet. Wie findet man beispielsweise zu einer objektiven Redehaltung, ohne in den gestelzten pluralis majestatis des „Wir konnten ermitteln“ zu verfallen oder in naiv-zaghafter Manier die Wortmeldung „Mir scheint XY“ anzubringen? Wie bindet man fremde Gedanken in die Argumentation ein?

Viele Handbücher und Studienratgeber liefern strikt formalistische Gebrauchsanweisungen zum Abfassen einer Seminararbeit. Sie vernachlässigen die zahlreichen Schreibpraktiken, die dem endgültigen Text vorausgehen müssen. Im Seminar berücksichtigen wir daher alle Arbeitsschritte, die am Schreibtisch des Kulturwissenschaftlers vor sich gehen: Notizen, Exzerpte, Bibliographien, Einfälle, Streitgespräche, Mapping-Verfahren, Gliederungen, Recherchen und das Ansetzen einer Exposition sind ihrerseits literarische Kleinformen. Einerseits nähern wir uns der Praxis des Schreibens im geschichtlichen Rückblick: Wie entstand die Seminararbeit (Pohl), die Fußnote (Grafton), und wie wird die Notiz in der neueren wissenschaftlichen Schreibforschung betrachtet (Hoffmann, Wittmann)? Wie kann man den Moment des Schreibens beschreiben (Blanchot, Campe)? Andererseits helfen in diesem Zusammenhang praktische Übungen nach dem Prinzip: „Aus Fehlern lernt man“ – wie beispielsweise das Korrigieren von bestehenden Seminararbeiten, das Entschärfen oder Zuspitzen von Thesen sowie Übersetzungsübungen ausgehend von schlechtem wissenschaftlichen Stil. Wie in diesem Modul üblich, wird der Schein durch fünf kleinere Aufgaben erworben.

 

WiSe 2012/13 | BA | Studienpraxis | 53288

Mittwochs 10:00 bis 12:00 Uhr

Seminarraum: Georgenstraße 47 | 0.01


 


 

Gebrauchsliteratur. Zum Vermittlungsproblem des Praktischen

Gebrauchsanweisungen, Rezepte und Verträge haben eines gemeinsam: Sie bieten die festgelegten Regeln zukünftiger Handlungen und Nutzanwendungen. Neben diesen pragmatisch orientierten Textsorten sind es vor allem die Manifeste der Avantgarden die einen wesentlich komplexeren, emphatischen Praxisbegriff propagieren, der als eigentliches Ziel der ästhetischen Produktion ausgewiesen wird. Gänzlich anders wiederum gehen die Theoretiker der Körpertechniken vor, sie setzen an der Beschreibung von Bewegungen an: Marcel Mauss‘ Beobachtungen zu Schwimm- und Laufstilen, Frank Bunker und Lillian Evelyn Gilbreths Klassifikation von Bewegungsroutinen, aber auch die Geschichte der Prothetik wären hier zu nennen.

Zudem steht die wissenschaftliche Hinwendung zum Problem der Praxis oftmals im Zeichen eines theoretischen Perspektivwechsels: einer Aufwertung vernachlässigter Dimensionen des gesellschaftlichen Handelns. Auf was diese Diskurslinie abzielt, die von der Ethnomethodologie und der Alltagsforschung mitinspiriert wurde, wird anhand einer eingehenden Beschäftigung mit Pierre Bourdieus „Entwurf einer Theorie der Praxis“ erörtert, der mit seiner „praxeologischen Erkenntnis die objektivistische auf ihre Füße“ stellen will.

Mit der Praxis steht ein zentrales Problem der Kulturwissenschaft im Fokus des Seminars, das unter Berücksichtigung der medialen Eigenarten seiner Vermittlung angegangen wird.  

SoSe 2011, Donnerstags, 14-16 Uhr, Sophienstr. 22, EG, Raum 0.03

Nr. 53349 , B.A. Techniken -- Praxen -- Materialisierungen

 


 

Marginale Ökonomie. Kulturen der Verteilung und Figuren des Archaischen in der Volkswirtschaft

 

An den Rändern der ökonomischen Theoriebildung stößt man immer wieder auf kulturgeschichtliche Argumentationen und Szenen: den marktlosen Handel unter Hammurabi, die prä-monetären Wirtschaftsformen, die ägyptische Tempelwirtschaft, die Diskussion um die Ökonomie Athens. Ausgehend von Karl Polanyis „Origins of our time. The great Transformation“ (1945) sollen die auch hier eingeschalteten und eingebetteten Referenzen auf entlegene und marginalisierte Ökonomien in den Blick genommen werden. Parallelisierbar sind sie mit Max Webers Ausführungen über die Antike; als Replik gelten die ökonomiehistorischen Arbeiten Moses Finleys. Polanyi zitiert zudem ethnologische Forschungen wie den melanesischen Fernhandel des Kula Rituals, der durch Bronislaw Malinowski dargestellt und von Annette B. Weiner einer Genderkorrektur unterzogen wurde.

Das Seminar verfolgt die spezifischen Funktionen dieser „Figuren der Archaik“ in ihren Idealisierungen, Erzählstrategien und in ihrem Innovationspotential. Insbesondere wird gefragt, ob und inwiefern hier mit Armut und Mangel theoretisiert wird. Zudem wäre zu klären, welche Dimensionen von Armut im jeweiligen System des Kaufens, Tauschens, Gebens, Leihens, Unterschlagens und Schenkens jeweils erkennbar werden.

53306 BA Vertiefung, Mittwoch 12:00 bis 14:00 Uhr, 0.03 Sophienstr. 22a


 

Situation, Gelegenheit, List

 

 

 

 

 

Von der Chorographie zur Militärgeschichte, von der Ethnologie zum Situationismus: Die potentialgeladene, räumliche Konfiguration der Situation ist sehr unterschiedlich aufgefasst und verwendet worden. Ausgehend von Theorie und (künstlerischer) Praxis wird durch vergleichende Lektüren ein kulturwissenschaftlicher Begriff der Situation erarbeitet (Guy Debord, Raoul Vaneigem, Erwing Goffman). Streifen wird das Seminar zudem die Denkfiguren der Rechtfertigung (Edward Palmer Thompson, Luc Boltanski), der Taktik und der Nutzung von Gelegenheiten (de Certeau). 

SoSe 2010
Sophienstraße 22-22a (SO 22, 4.01)
LV.Nr.: 53349, Master-Seminar, Episteme, Strukturen, Medien

 

Stichwortordnung – Lexika, Exzerpte, Zettelkästen


Lexika gibt und gab es in den verschiedensten Formen. Zu nennen sind Plinius’ antike „Naturgeschichte“, die modernen Fachlexika der verschiedenen Disziplinen, der DoBes-Server für bedrohte Sprachen, die großen enzyklopädischen Projekte der Aufklärung, (Zedler, Encyclopédie, Krünitz, Ersch-Gruber), die Konversationslexika, ersten Wörterbücher der Nationalsprachen aber auch Neudefinitionsversuche wie das im Merve-Verlag erschienene „Kritische Wörterbuch“. All diese Sammelwerke versprechen, Wissensbestände durch die Anordnung von Stichworten handhabbar zu machen. Dies gilt auch für die Praktiken des Exzerpierens oder die Anlage von (virtuellen) Zettelkästen (Luhmann, Meinel, Krajewski), für den Entwurf von Listen und die lange Tradition des „cut & paste“. In diesem Seminar zu Studientechniken soll die Recherche nach Stichworten geübt und Ordnungsstrukturen (Mapping, Wissensbäume, Netze und Rhizome, chronologische und alphabetische Listen) auch praktisch erprobt werden.

WiSe 2009/10, freitags 12-14 Uhr
Sophienstraße 22-22a (SO 22, 3.01)
LV.Nr.: 53349, Studienpraxis

 

Seminare Archiv

SoSe (2006) Falsches Wissen. Die Geschichte des physikalischen Aberglaubens

WiSe 2007/2008 Darwinismus, Monismus. Biologisch-politsche Debatten um die Evolutionstheorie (gemeinsam mit Dr. Eva Johach)